INTERVIEW UND PORTRÄT

Im Gespräch mit…

Nils Buschmann
Robertneun Architekten, Berlin

Dem zweigeschossigen ehemaligen Gemeindesaal der Kirche St. Agnes, den Robertneun zum Büro umfunktioniert hat, wohnt trotz seiner rohen Oberflächen eine Erhabenheit inne.

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Robertneun Architekten, Berlin

  • Autor: Michael Kasiske
  • Foto: Erik-Jan Ouwerkerk, Werner Huthmacher

Michael Kasiske: Für Ihr Projekt „Wohnen am Lokdepot“ haben Sie schon nach dem ersten Bauabschnitt viel Lob erhalten, wie etwa eine Auszeichnung beim Deutschen Architekturpreis oder den BDA-Preis Berlin. Wie betrachten Sie jetzt, kurz vor dem Abschluss, das Vorhaben?

Nils Buschmann: Hinsichtlich unseres städtebaulichen Ziels sind wir mit dem Gesamtensemble sehr zufrieden. Auch wenn wir nicht alle Häuser entworfen haben, war unser Masterplan offensichtlich so überzeugend, dass unterschiedliche Kollegen ihm folgten und somit ein homogenes Erscheinungsbild entstanden ist.

MK: Sicher haben Sie das Rot der Fassade im Bebauungsplan festgelegt.

NB: Nein, das eben nicht. Doch die Entwicklung des Projekts war öffentlich diskutiert sowie von den einschlägigen Gremien des Senats und der beteiligten Bezirke Schöneberg und Kreuzberg begleitet worden, sodass die Farbe in ihren Erscheinungsformen als Ziegel, eingefärbter Beton oder Rostschutzfarbe auch ohne förmliche Festsetzung nicht mehr zur Diskussion gestellt wurde.

Nils Buschmann.

MK: Das Rot empfinde ich gleichsam als literarische Markierung einer weiterentwickelten Form des Blockrands, als Abgrenzung zum 19. Jahrhundert.

NB: Auf die Gründerzeit beziehen sich viele, wenn sie von „lebendiger Stadt“ reden. Doch sie haben weniger die Mietskasernenstadt im Sinn, die Berlin einst gewesen ist, sondern eine ideale Bürgerstadt, in der jeder ein nur für sich stehendes Haus neben das andere setzt. Diese sogenannten „Town Houses“ sind in unseren Augen ein Missverständnis. Denn es kann nicht darum gehen, den letzten Spanienurlaub oder ähnliche Sentimentalitäten Fassade werden zu lassen. Ein solches Stadtverständnis teilen wir nicht.

MK: Mittelalterliche Straßenzüge des Bürgertums wie die Gassen in Bern oder der Prinzipalmarkt in Münster verdanken ihr homogenes Erscheinungsbild dem gestalterischen und materiellen Konsens des Zeitalters ihrer Entstehung.

NB: Einen gewissen Grundkonsens finden wir gut, womit wir jedoch fast eine gesellschaftspolitische Frage aufwerfen: Was kann der gemeinsame Nenner sein? Wo hört Stadt auf und wo fängt Architektur an? Wie wird Individuelles und Kollektives verhandelt bzw. welche Bereitschaft zum Kollektiven existiert? Unsere Antwort beim Lokdepot wie auch in aktuellen Wettbewerbsbeiträgen ist die Entwicklung einer Großform, die eine leicht begreifbare Gesamtheit verkörpert, innerhalb derer eine große Vielfalt zugelassen werden kann.

MK: So könnte man etwa auch die klassizistischen Reihenhäuser in Bath charakterisieren, deren Schaufassaden einander exakt gleichen, obschon sie im Innern unterschiedlich sind.

NB: Unser Städtebau ist vielschichtiger. Wir haben drei Gebäudetypen entwickelt, die eine unterschiedliche Struktur aufweisen und somit auch unterschiedliche Wohnungsformen und -größen bedingen. Die  Wohnungsmischung, die der jeweilige Bauherr wünschte, bestimmte dann, welcher Typ gebaut wurde. Das war nicht durch unseren Masterplan vorgegeben.

Nils Buschmann.

MK: Die strukturelle Differenz, die sich äußerlich etwa in den Raumhöhen oder den Balkonen abbildet, ist deutlich zu erkennen.

NB: Genau, und dieser Aspekt war sehr wichtig, um der unbestimmten Befürchtung vieler Menschen zu begegnen, dass eine Großform gleichbedeutend mit einer monotonen Erscheinung ist. Zu Unrecht wird der Mangel an Abwechslung oft gerade Neubauquartieren vorgehalten, obwohl die Ursache meist in der fehlenden sozialen und funktionalen Mischung liegt.

MK: Was oft in der Ähnlichkeit der Wohnungstypen begründet ist. Wurden Ihnen diese am Lokdepot von den Bauträgern vorgegeben?

NB: Das ist unterschiedlich gewesen. Unsere letzten beiden Häuser, denen der mittlere Typus zugrunde liegt, sind jeweils von einer Baugruppe und einer Bauherrin errichtet worden. In beiden sind die einzelnen Etagen in jeweils unterschiedlich große Wohnungen aufgeteilt worden mit dem Ergebnis einer gewissen Vielfalt.

MK: Drückt sich das nun auch in der Bewohnerschaft aus?

NB: Auf jeden Fall, insbesondere bei dem Mietshaus: Dort leben Singles und Paare unterschiedlichen Alters, klassische Klein- und Regenbogenfamilien. Eine solche Mischung zu erreichen, sollte das Minimalziel sein, ebenso wie die Mischung von Arbeiten und Wohnen, was ja hier in einem Verhältnis von neun Wohnungen und vier Ateliers immerhin gelungen ist.

PORTRÄT

Architektur ist Lebensleistung

Wer aufgrund eines frühen Projekts, nämlich des Clubs „Weekend“ in den oberen Etagen des ehemaligen Hauses des Reisens am Alexanderplatz in Berlin, hinter Robertneun eine Partytruppe vermutet, wird spätestens bei der persönlichen Begegnung eines Besseren belehrt. Nils Buschmann und Tom Friedrich sind, auch wenn sie gern lachen, verantwortungsvolle Architekten: Ein Haus allein ist nichts, auf den Mehrwert kommt es an.

 

Die Büropartner Tom Friedrich (links) und Nils Buschmann.

2001 gründeten die beiden frisch diplomierten Architekturabsolventen das Büro zusammen mit ihrem Kommilitonen Thomas Baecker, der seine Tätigkeit neun Jahre später in einem eigenen Büro fortsetzte. Der Name Robertneun hat keine biografischen Wurzeln; vielmehr wollte man sich von Kürzeln oder Personennamen absetzen, ohne zwingend schon im Titel programmatisch zu werden. Das Streben nach Normalität, keinesfalls gleichbedeutend mit Banalität, ist ein Wesenszug der Architekten.

Ihr Studium absolvierten Buschmann und Friedrich in den 1990er Jahren an der Technischen Universität Berlin. In dieses Jahrzehnt fiel die erbitterte Debatte um die Gestalt der jungen Hauptstadt Deutschlands, in der nach dem Mauerfall eine enorme Planungstätigkeit eingesetzt hatte. In das Hohelied auf die sogenannte „europäische Stadt“, das vom Senatsbaudirektor angestimmt worden war, mochten nicht alle einstimmen. Vor allem wollten viele Architekten, wenn es innere Struktur, Fassade und Material betraf, nicht hinter die Standards zurückfallen, die im Jahrzehnt zuvor durch einige Bauten der Internationalen Bauausstellung gesetzt worden waren.

„Der Bürositz in einem Betonbau der 1960er Jahre ist eine Mischung aus Bedürfnis und Aussage: das Wertschätzen der Nachkriegsarchitektur und das Bedauern über die langjährige Berliner Einstellung, städtebaulich in die Gründerzeit zurückzugehen.“

Die Vielzahl möglicher Grundrisskonstellationen wird gemeinsam am Rechner entwickelt.

Vor diesem Hintergrund sowie aus der Biografie der beiden 1972 geborenen Architekten – Buschmann wuchs im nachkriegsgeprägten Offenbach auf, Friedrich in Bern mit seinen vorstädtischen Neubauquartieren – ist zu verstehen, warum sie weder die Rückbesinnung auf die Historie noch eine simplifizierende Moderne für nachahmenswert halten. Ihre Herangehensweise ist vielmehr schöpferisch im besten Sinn: Sie lassen sich vom Kontext inspirieren und entwickeln daraus assoziativ Struktur und Gestaltung ihrer Projekte. So reagierten sie mit den Ziegelwänden, den offenen  Metalltreppen und -balkonen sowie dem rauen Beton bei der Wohnbebauung „Am Lokdepot“ auf die benachbarten, namensgebenden Industriehallen.

Jede Bauaufgabe für sich zu betrachten, ist für Robertneun auch bei den Niederlassungen für die Kette „FrischeParadies“ selbstverständlich, von denen mittlerweile acht von ihnen entworfen wurden. Bei den Spezialmärkten für die Gastronomie gelingt es ihnen, für die Präsentation von Lebensmitteln eine reinliche und dennoch nicht sterile Atmosphäre zu schaffen, was vor allem durch die Verwendung von Holz für die Konstruktion, Vertäfelungen und Regale möglich wird.

Die konzeptionelle Stärke ist nicht zuletzt auf die zwei prägenden Praktika während des Studiums zurückzuführen: Friedrich war im Büro von Hans Kollhoff, Buschmann im Büro von Georg Augustin und Ute Frank. So unterschiedlich die Architektur beider Büros ist, ihre handelnden Personen haben ein beeindruckendes Charisma und stehen für ihre architektonische Haltung. Ihr Werk würdigt Buschmann als „Lebensleistung“. Inzwischen hat er als Vertretungsprofessor an der Universität Kassel selbst die für ihn wesentlichen Punkte der Architektur vermitteln können.

Im Bestreben, das Besondere in der Normalität zu finden, betrieb Robertneun sein Büro nie in einer Altbauwohnung oder einer Büroetage. Nach den Anfängen im Haus des Lehrers und im Haus des Reisens am Alexanderplatz, seinerzeit noch Teil im Bereich Kultur engagierter Entrepreneure, und später auf dem Gelände der einstigen Fahrbereitschaft der DDR-Regierung hat das Büro seit drei Jahren im früheren Gemeindehaus der profanierten Kirche St. Agnes seinen Sitz. Buschmann und Friedrich arbeiten mit ihrem Team in dem zweigeschossigen ehemaligen Gemeindesaal, auf dessen Bühnenpodest ihre Modelle stehen. Trotz des grauen schalungsrohen Betons licht, wohnt dem Raum eine feierliche Atmosphäre inne. Architektur wird hier nicht produziert, sondern geschaffen.

Architekten

ROBERTNEUN ARCHITEKTEN GMBH
Alexandrinenstr 118–121
St. Agnes
10969 Berlin
www.robertneun.de

Projekte (Auswahl)

2016 Neubau FrischeParadies, Stuttgart
2015 Neubau Büro-, Hotel und Geschäftshaus, Köln
2015 Umbau und Aufstockung eines denkmalgeschützten Magazingebäudes, Köln
2013 Sanierung und Erweiterung Stadtteilschule, Drewitz

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