PROJEKTREPORTAGE

Wohnanlage "Am Lokdepot", Berlin

Robertneun Architekten, Berlin

Das neue rote Berlin

  • Autor: Michael Kasiske
  • Fotos: Werner Huthmacher

Von Beginn an war die Wohnanlage „Am Lokdepot“ unübersehbar. Dabei ist die Farbe lediglich als Ausrufungszeichen hinter der Initiative des Architekturbüros Robertneun zu verstehen, einen stadträumlich ignorierten Ort gestalterisch und funktional vorbildlich für Wohnungsbau zu entwickeln.

Die breite Bahntrasse zwischen den Berliner Bezirken Schöneberg und Kreuzberg säumten von jeher Hinterhöfe, temporär ansässiges Gewerbe und Kleingärten. Erst in jüngster Vergangenheit, mit dem Reduzieren der Gleise und der Anlage einer grünen Fuß- und Radwegverbindung zwischen dem Park auf dem Gleisdreieck und dem Südgelände, rückt das Gelände als innerstädtischer Freiraum und somit als schöne Aussicht ins Bewusstsein. Dazu hat Robertneun mit seinem Projekt „Wohnen am Lokdepot“ einen wesentlichen Anteil geleistet.

Die freistehenden, offenen Treppen aus rotlackiertem Stahl rufen Erinnerungen an die berühmten eisernen Feuerwehrleitern in New York wach.

Vor zehn Jahren trat der Eigentümer des Grundstücks an das damals noch unbekannte Architekturbüro heran mit der Bitte, eine städtebauliche Studie für die effiziente Nutzung durch Großmärkte zu erstellen. Nils Buschmann und Tom Friedrich sahen, lange bevor Wohnungsbau zu dem politischen Thema Berlins wurde, das Potenzial der außergewöhnlichen Lage und trugen dem Eigentümer initiativ verschiedene Möglichkeiten für Wohnungsbau an. Dieser erkannte die Chance – der Rest ist Geschichte, wenn auch eine über sechs Jahre dauernde, die die Architekten durch viele Gremien des Landes Berlin und seiner Bezirke führte.

Entwurfsansicht der gesamten Anlage „Wohnen am Lokdepot“.

Die Ausdauer von Robertneun lohnte sich: Die ersten, 2013 fertiggestellten Einheiten galten schnell als Maßstab für zukünftiges Wohnen. Städtebaulich zeigte das Projekt auf, welche Chancen in unbeachteten Liegenschaften auch für vielfältige Bauherrschaften stecken, gerade im Hinblick auf die Bereitstellung von individuellem Wohneigentum; in architektonischer Hinsicht wurde deutlich, für wie viele Lebensformen ein gut strukturiertes Gebäudekonzept offen sein kann. Der Erfolg führte zu einer raschen Fortsetzung der Wohnbebauung, wenngleich die Planung – für den Laien auf den ersten Blick kaum erkennbar – teilweise vereinfacht und von anderen Büros durchgeführt wurde.

„Unsere Architektur entwickelt sich aus dem jeweiligen kulturellen Kontext der Projekte, hier etwa aus Gewerbebauten, der Cast-Iron-Architektur New Yorks etc., die von den Lokdepothallen und den Gleisanlagen assoziiert werden.”

Die von rohen Materialien bestimmten Eingänge sind räumlich ungewöhnlich großzügig.

Die Architekten gaben in dem aus ihrem Konzept entwickelten Bebauungsplan zum einen drei Parzellenbreiten vor, nämlich 7, 14 und 21 Meter. Überraschend bieten die innerhalb dieser Begrenzungen entstehenden Bauten ausreichend Varianz für Einraumwohnungen, die auch zu Maisonettes zusammengeschaltet werden können, für größere Etagenwohnungen und auch für solche Wohnungen, deren Mittelpunkt ein eineinhalbgeschossiges Gewächshaus bildet. Des Weiteren war ein Sockel verbindlich, der die Differenz zwischen dem bis zu sieben Metern abschüssigen Gelände und der ersten Wohnetage ausgleicht und in dem Gewerbeeinheiten und Ateliers vorgesehen wurden; im zweigeschossigen Bereich werden dadurch außerordentlich großzügige Eingänge ermöglicht. Zum dritten, obwohl keine Vorgabe, war das Rot gesetzt, das den Beton, die recycelten Ziegel und die Metallkonstruktionen visuell zusammenbindet.

Die Qualität der Wohnungen liegt in ihren mannigfaltigen Möglichkeiten, Räume und auch Etagen spannungsvoll zusammenzuschalten.

Die Materialien erinnern an Gewerbebauten, die schon Ende des 19. Jahrhunderts Ergebnisse eines in höchstem Maße standardisierten Bauprozesses sind. Obwohl die Regelungen beim „Wohnen am Lokdepot“ eher struktureller Natur sind, erzeugen die unveredelten Oberflächen die funktional unbestimmte Atmosphäre von innerstädtischem Gewerbe – was in der Nachbarschaft zum Lokdepot, das vom Museum für Verkehr und Technik weiterbetrieben wird, auch beabsichtigt ist: Die Vielfalt und das Funktionsoffene des „kräftigen Rohbaus“ entspringen dem sogenannten kulturellen Kontext, den Robertneun assoziativ aus der Spezifik dieses Ortes ableitet. Insofern war der Zugang der Architekten von Beginn an mehr von der offenen Gewerbe- denn von der nutzungsspezifischen Wohnarchitektur geprägt. Denn auch in Berlin, wie einst in New York, wo Lofts eine mannigfaltige Nutzung durch die minimierte Konstruktion und die Variabilität der Grundrisse ermöglichten, haben Gewerbebauten durchaus eine Tradition als Wohnstätte.

Grundrissbeispiel für eine Wohnung, die eine ganze Etage einnimmt.

So ist es nur konsequent, dass Aufzüge zuweilen mitten in die Wohnungen führen, während Treppen als notwendige Fluchtwege in den Außenbereich verbannt sind. Das konstruktive Grundgerüst aus Stahlbeton, dessen Grundlage ein Raster von 3,50 Metern bildet, regt zu offenen Grundrissen an. Nicht zuletzt weil alle Wohnungen „durchgesteckt“ sind, also von der Rück- bis zur Vorderfassade durchgehen, liegt es nahe, etwa Schlafzimmer tagsüber auch anders zu nutzen. Die Effizienz der Raumbelegung deutlich zu erhöhen, ist ein noch unterbelichtetes Thema im verdichteten Wohnungsbau, obwohl es schon von den Vertretern der klassischen modernen Architektur wie etwa Le Corbusier vorgeschlagen wurde.

„Wir beschäftigten uns mit Gewerbe-typologien fürs Wohnen und nicht mit Wohntypologien in einem Gewerbeareal, also einer spezifischen Anwendung des Typus, wodurch das Konzept an diesen spezifischen Ort gebunden wird.”

Auch die zurückhaltend gestalteten Bäder zeichnen sich durch differenzierte räumliche Konstellationen aus.

Die letzten beiden Gebäudeeinheiten, wiederum von Robertneun, wurden für eine Baugruppe und für eine Bauherrin entwickelt, die die Wohnungen konventionell vermietet. In dem weiträumigen Entree des Mietshauses können nicht nur Fahrräder abgestellt oder Feste gefeiert, sondern sogar Fußball gespielt werden. Auch hier wird eine große Auswahl an Wohnungsgrößen und -zuschnitten angeboten, was zu einem breiten, im Mietswohnungsbau freilich recht seltenen Bewohnerspektrum führt. Damit werfen die Architekten beiläufig die Frage auf, warum ein generationen- und familienstandübergreifendes Wohnen als Folge des gesellschaftlichen Wandels weg von der Kleinfamilie gern diskutiert, aber nicht genauso selbstverständlich öffentlich gefördert wird. Auch darin zeigt sich das Zukunftsweisende des Wohnens am Lokdepot.

Architekten

ROBERTNEUN ARCHITEKTEN GMBH
Alexandrinenstr 118–121
St. Agnes
10969 Berlin
www.robertneun.de

Das Büro Robertneun, seit 2010 eine GmbH, wird von den Architekten Nils Buschmann und Tom Friedrich als Geschäftsführer geleitet. Ihr Leistungsspektrum reicht von der Projektentwicklung über Gewerbe- und Wohnungsbau bis zur Innenraumgestaltung. Seitdem das Projekt am Lokdepot als zukunftweisendes Projekt für innerstädtisches Wohnen Furore gemacht hat, wird das Büro zunehmend zu Wettbewerben eingeladen. So errang es 2014 beim Wettbewerb um ein neues Quartier nahe der Gartenstadt Falkenberg im Süden Berlins den zweiten Preis mit einem Entwurf, der auf klaren vorstädtisch geprägten Typologien fußt und mit kräftiger Farbgebung der benachbarten sogenannten Tuschkastensiedlung von Bruno Taut und Ludwig Lesser Respekt zollt. Den ersten Preis erhielten die Architekten 2016 für einen Stadtblock in der Europacity nahe dem Hauptbahnhof Berlin; auch hier entwickelten sie aus dem kulturellen Kontext des einstigen Gewerbe- und Hafengebietes eine Skelettstruktur, die maximal verschiedene Wohnungstypen aufnehmen kann und dabei dennoch Qualitäten wie das Durchwohnen zu zwei Seiten sichert. Leider waren die Bauherrn nicht bereit, diese anspruchsvolle und selbstbewusste Architektur zu realisieren, und haben den Bauauftrag an einen anderen Preisträger vergeben. Das ist bedauerlich, doch angesichts des aktuellen Bedarfs an innerstädtischem Wohnraum ist zu wünschen, dass dem Büro Robertneun neue Chancen eröffnet werden, sein spezifisches Entwerfen in der Verbindung von Typus und Topos erneut unter Beweis zu stellen.

Projekte (Auswahl)

2016 Neubau FrischeParadies, Stuttgart
2015 Neubau Büro-, Hotel und Geschäftshaus, Köln
2015 Umbau und Aufstockung eines denkmalgeschützten Magazingebäudes, Köln
2013 Sanierung und Erweiterung Stadtteilschule, Drewitz

Produktinformationen

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